Bestandteil der Audioaufnahme¹ von GM Tang Yik aus den 1960ern, Übersetzung aus dem Kantonesischen: Janet Yuen und Peter Scholz. Für eine bessere Verständlichkeit des Textes wurden einige Jahreszahlen der Ereignisse von uns rekonstruiert. Dafür haben wir die unten aufgeführten Quellen benutzt.
Stilgründer
Tang Syun war der bedeutendste Meister innerhalb der Wing Chun Linie der Tang Familie. Er trug die frühere Tradition des Wing Chun Kung Fu in die Gegenwart und öffnete die Kunst für die Weiterentwicklung. Tang Syun unterrichtete nicht öffentlich, auch wenn er sein Kung Fu nach Hong Kong brachte. Er war sehr wählerisch, wen er in Hong Kong als Schüler aufnahm. Nachdem das Tang Family Wing Chun mehrere Generationen überlebt hat und gewachsen ist, wird es heute weltweit praktiziert.
Ausbildung
Tang Syun wurde am Ende des 19. Jahrhunderts als einziger Sohn einer gut situierten Familie in Xiaotang, Foshan in der Provinz Guangdong in China geboren. Mit 18 Jahren konnte er ein Staatsexamen aufgrund seiner miserablen Handschrift nicht erfolgreich ablegen. Auch war er überhaupt nicht daran interessiert, seine Handschrift zu verbessern, stattdessen war er hochmotiviert die Kampfkunst zu erlernen und auszuüben. Mit Anfang 20 begann er, die Kunst von Tang Zau in ihrem Heimatdorf in Xiaotang zu lernen. Tang Zau’s Wing Chun Kung Fu stammte wiederum von seinem Vater Tang Bun, der es von Zen Meister Zi Sin im Feilai Tempel in Qingyuan gelernt hatte.
Jyun Wo Percussion-Laden
Nachdem er den 6.5 Langstock und die Wing Chun Kyun Handform von Tang Zau gelernt hatte, reiste Tang Syun regelmäßig in die Stadt Foshan um sich mit anderen Kung Fu Praktikern im „Jyun Wo Percussion-Laden“ zu treffen. Der Ladenbesitzer Tang Pok erlernte die Langstocktechnik des „Gau Dim Sap Saam Coeng“ von einem weiteren Schüler Zi Sin’s, Meister Long, der aus dem Babai Gebirge in Guangxi geflohen war. Tang Pok gab das Wissen dieser Langstocktechnik als effektive und mächtige Methode zur Kraftentwicklung weiter. Danach lernten beide, Tang Pok und Tang Syun, gemeinsam von Yeung Tim, ebenso ein Wing Chun Praktiker aus der Zi Sin Linie und bewältigten die Soeng Gung Handform.
Tang Pok und Tang Syun waren Geschäftsleute, und das war der Grund, warum sie keine Schüler in der Öffentlichkeit brauchten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wie es andere Kampfkunstlehrer taten. Dennoch entwickelte sich der „Jyun Wo Percussion-Laden“ zu einem Treffpunkt an dem sie einige Personen unterrichteten. Sie waren sehr offen, ihr Wissen auszutauschen und hießen Fung Siu Cing, einen anderen Wing Chun Meister und auch einige seiner Schüler willkommen. So unterrichteten sie zum Beispiel Dung Zik, Dung Jan und Maa Zung Jyu den Langstock. Fung Siu Cing unterrichtete die Holzpuppenform, die er auf der Roten Dschunke gelernt hatte. Innerhalb dieser Kung Fu Gruppe wurden jahrzehntelang Erfahrungen ausgetauscht.
Reisen
Als einziger Sohn einer reichen Familie, die Land, Betriebsstätten und Lebensmittelläden besaß, musste Tang Syun nicht zwanghaft für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Bewundert für seine Kompetenz im Kung Fu wurde er von zahlreichen Nachbarn und Verwandten zum unterrichten eingeladen. Er reiste umher, um kostenlos zu unterrichten. Auf einer dieser Reisen gelangte Tang Syun irgendwann nach Hunan Fenghuang und lernte dort eine Frau kennen, die das Kung Fu ebenfalls gemeistert hatte. Er lernte von ihr und sie wurden gute Freunde. Als sie in den Süden fliehen musste, wohnte sie bei Tang Syun. Sie unterrichtete ihn in der Peitsche, in einigen Handtechniken und im Langstock. Nach zwei Jahren ging sie fort und gab ihm ihre ein Meter lange Peitsche zur Erinnerung. Tang Syun war jetzt selbst ein Meister der Peitsche.
Tang Syun hatte gehört, dass Zen Meister Zi Sin über das Babai Gebirge in Guangxi geflohen war, so dass er in die Berge reiste. Dort erzählte er herum, dass er einige Hand- und Langstocktechniken kannte. So lernte er einen Mann kennen, der später nach Xiaotang kam um dort Handel zu treiben.
Familie und Kinder
Tang Syun heiratete im Alter von 16 Jahren, zwei Jahre später wurde das erste Kind geboren. Insgesamt brachte seine Frau fünf Mädchen zur Welt. Um die Blutlinie fortzuführen, brauchte Tang Syun einen Sohn. Mit einer zweiten Frau, die seine entfernte Nichte war zeugte er sechs weitere Kinder. Eines von Ihnen war Tang Yik. Währenddessen bekam er mit seiner ersten Frau noch einen Sohn.
Eine Ehefrau, eine Konkubine, insgesamt 12 Kinder. Tang Syun’s Konkubine, Frau Lao, stammte aus dem Babai Gebirge, sie war ebenfalls eine Kung Fu Praktikerin der Zi Sin Linie. Seit sie mit Tang Syun verheiratet war, lernte sie von ihm weiter. Später assistierte sie ihm beim unterrichten anderer Leute.
Unfall mit Folgen
In der Zeit von ungefähr 1909 bis 1910 wurde ein Unfall während einer Auseinandersetzung mit einem Dorf-Nachbarn zu einem Wendepunkt in Tang Syun’s Leben. Er sah, wie seine Kameraden gegen die Nachbarschaft um die Wasserreserven für den Ackerbau kämpften. Er rannte sofort dorthin, um zu helfen, benutzte den 6.5 Langstock und stach auf einen Mann ein, der daraufhin in ein Schlagloch fiel. Es war nicht klar, ob Tang Syun ihn mit derm Stock getötet hatte, oder ob er beim Sturz tödlich verunglückte. Tang Syun musste das Heimatdorf verlassen.
Hongkong
Tang Syun floh nach Hong Kong, zusammen mit seinem fünften Sohn Tang Jau Jung. Ursprünglich war es sein Plan weiter nach Singapur zu gehen, da er dort einen Freund hatte, der Gemüsebauer war. Während des kurzen Zwischenstopps in Hong Kong übernachteten sie in einem alten Gasthaus am Ufer. Eines Morgens ging er zum Frühstück in ein chinesisches Restaurant. Als er sich eine Zigarette anzünden wollte, hatte er kein Streichholz zur Hand, also fragte er einen Mann am Nachbartisch. Tang Syun und der Mann erkannten den Akzent ihres Heimatdorfes und stellten fest, dass sie beide aus dem Gebiet um Nanhai kamen. Der Mann hieß Lei Jat. Lei fragte Tang Syun, ob er die bekannte Person aus Nanhai Xiaotang namens „Tang Syun“ kannte, weil er das Kung Fu der Tang’s lernen wollte. Zu Beginn konnte Lei Jat nicht glauben, dass es wirklich Tang Syun war. Also hatten sie einen kleinen Test. Tang Syun deckte einfach Lei’s Hand ab und Lei konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen. Dann war er vollkommen überzeugt. Lei half Tang Syun sich in Hong Kong niederzulassen und vermittelte ihm mehrere Schüler. So unterrichtete Tang Syun eine Handvoll Schüler in Hong Kong, in einem Raum im Hinterhof des Erdgeschosses, Wo On Lane 9, Lan Kwai Fong, im Bezirk Central.
Guangzhou
1911 ² sah Tang Syun eine Möglichkeit, in sein Heimatdorf in Foshan zurückzukehren: Während des Zusammenbruchs der Qing Dynastie verlor die imperiale Armee den Einfluß und viele Kriegsherren kämpften gegeneinander. Nach der Xinhai Revolution erklärte die Chinese Revolutionary Alliance die Unabhängigkeit von Guangdong. Infolgedessen wurde Chen Jing Hua³ zum Leiter der Polizeistation⁴ ernannt und er warb öffentlich für einen Polizei-Trainer.
Die Dorfkameraden schickten Tang Syun einen Brief um in über diese Rekrutierung zu informieren. Wenn Tang Syun diesen Posten bekommen würde, wäre das vielleicht hilfreich, ihn in dem gegen ihn anhängigen Verfahren in seiner Heimatstadt freizusprechen. Dennoch zögerte er wegen des unkalkulierbaren Risikos. Lei Jat und ein weiterer Wing Chun Freund, stimmten zu und versuchten ihn zu überzeugen. Als er an all seine Kinder dachte, die immer noch im Heimatdorf waren, packte er und ging nach Guangzhou. Bei der Anmeldung für die Rekrutierung verwendete er den Namen „Tang Gan“. Es gab 40 weitere Teilnehmer und sie mussten mit dem Langstock kämpfen. Nachdem er mit einigen Mitstreitern gekämpft hatte, traute sich kein anderer mehr zum Kampf hervorzutreten. So gewann Tang Syun den Kampf um den Posten als Trainer.
Bilder der ehemaligen Polizei-Station in Guangzhou
Chen Jing Hua
Tang Syun’s Vorgesetzter Chen Jing Hua half ihm dabei, den jahrelangen Konflikt in seinem Heimatdorf beizulegen, so dass Tang Syun zurück zu seiner Familie nach Foshan konnte und in der Polizeistation in Guangzhou Kung Fu unterrichtete. Zwei Jahre später, im September 1913 wurde Chen Jing Hua ermordet³ und die Polizeistation wurde umstellt. Tang Syun entschied sich Guangzhou wieder zu verlassen.
Chen Jing Hua 陳景華 (1863—1913)
Die Anti-Qing-Aktivistengruppe Chinese Revolutionary Alliance hat die Qing-Dynastie gestürzt. Der kantonesische Militärgouverneur Hu Han Min ernannte Chen Jing Hua 1911 zum Polizeichef einer der ersten Polizeieinheiten, die nach dem Zusammenbruch des Qing-Militärsystems gegründet wurde. Chen kämpfte brutal gegen Glücksspiele, bewaffnete Kämpfe, Banditen und Mafia, Tausende wurden festgenommen und hingerichtet. Durch sein brutales und strenges Urteil wurde die kriminelle Rate in turbulenten Zeiten rapide gesenkt und das Chaos unter Kontrolle gebracht. Weil Sun Yat Sen (Führer der Chinesischen Revolutionären Allianz, damals erster provisorischer Präsident der Republik China) von Chen unterstützt wurde, entsandte deren politischer Konkurrent Yuan Shi Kai (erster offizieller Präsident der Republik China, versuchte ebenfalls, die Monarchie wiederherzustellen) den kantonesischen Kriegsherren Long Ji Guang, um Chen Jing Hua in der Nacht des Mid-Autumn Festes am 15. September 1913 zu töten. ² ³ ⁴
Zurück nach Hong Kong
Tang Syun konnte sich retten und floh erneut nach Hong Kong, diesmal mit seinem Sohn Tang Yik. Während der schwierigen Zeit im Bürgerkrieg verlor Tang Syun die meisten seiner Kinder oder verlor den Kontakt zu ihnen.
Zurück in Hong Kong unterrichtete er die Kampfkünste weiter, immer noch privat an sehr wenigen unabhängigen Schulen. Er hatte nur wenige Schüler, da er sehr wählerisch war. Seine Schüler waren unter anderem der Künstler in Kalligraphie Chan Gaan Jing, der Sohn eines Juwelierladenbesitzers Ze Gwan Luk und „Ah Tang“, eine Dame mit Hochschulabschluss. Sein Sohn Tang Yik half ihm gelegentlich zu unterrichten. In Central gab es ein Theater namens „Kau Yau Fong Theatre“, das am 1. August 1949 abgerissen werden sollte. Ze Gwan Luk schlug Tang Syun vor, vorher eine Vorführung in diesem Theater zu geben, um das Kung Fu voranzubringen, er würde es finanzieren. Fung Siu Cing hörte von dem Plan und sendete seine Schüler Dung Zik, Dung Jan und Maa Zung Jyu aus, um ihn bei der Vorführung zu unterstützen. Tang Syun lud ebenfalls einige weitere Meister aus Guangzhou ein um sich zu beteiligen. Es war eine erfolgreiche Vorführung.
Vermächtnis
Tang Syun starb in den frühen 1950ern.
Neben der Wing Chun Kyun Handform, der Wing Chun Holzpuppe, der Soeng Gung, dem 6.5 Langstock, Hung Kyun und ähnlichem, beherrschte Tang Syun ebenfalls die Peitsche, das Messer und die Waan Tau Dang (Bank). Er favorisierte den Langstock, den er im Kampf gegen jegliche Waffen benutzen würde. Sein Sohn Tang Yik trug weiter zur Entwicklung seiner Kunst bei und gab das Wissen weiter. Mit den Langstocktechniken hatte er Erfolg und wurde als „König des Langstocks“ respektiert.
Quellenangaben
- GM Tang Yik erzählte die Entstehungsgeschichte des Siu Lam Wing Chun Kung Fu der Tang Familie in Form eines Interviews in den 1960ern. Dieses Interview wurde von seinem Schüler Chan Hoi Syun geführt, unter Anwesenheit von GM Tang Yik, Chan Hoi Syun und Kwong Chack Cheung, und wurde auf Tonband aufgezeichnet.
- https://zh.wikipedia.org/wiki/%E9%99%B3%E6%99%AF%E8%8F%AF (Zugriffsdatum: 20. Februar 2019)
- http://www.baike.com/wiki/%E9%99%88%E6%99%AF%E5%8D%8E%5B%E5%8E%9F%E8%B4%B5%E5%8E%BF%E7%9F%A5%E5%8E%BF%E3%80%81%E5%B9%BF%E4%B8%9C%E8%AD%A6%E5%AF%9F%E5%8E%85%5D (Zugriffsdatum: 20. Februar 2019)
- https://baike.baidu.com/item/%E5%B9%BF%E4%B8%9C%E7%9C%81%E8%AD%A6%E5%AF%9F%E5%8E%85 (Zugriffsdatum: 20. Februar 2019)